„Du musst eine Atmosphäre schaffen, in der jeder selbstbewusst sein kann.“
Für Robert Huth, Ex-Profifußballer, ist das die wichtigste Erkenntnis, die er aus seinem in seinem Studium „Sporting Directorship“ mitgenommen hat.
Das Selbstbewusstsein oder genauer: Das Selbstwertgefühl jedes Einzelnen. Warum ist es so wichtig in Teams? Und wie können Sie ein starkes Selbstwertgefühl jedes Teammitgliedes fördern?
Selbstwert – Unser Pott
Bereits in den 1980er Jahren kam die bedeutende Familientherapeutin Virginia Satir in ihrer Arbeit mit schwierigen Familien zu dem Ergebnis, dass das Selbstwertgefühl der entscheidende Faktor dafür ist, was sich in einem Menschen abspielt: was er fühlt, was er denkt, auf welche Art und Weise er mit seinem Umfeld in Beziehung tritt. Satir nannte das Selbstwertgefühl eines Menschen seinen „Pott“ – wie ein heimischer Suppentopf, der Geborgenheit, Sicherheit und Wärme verkörpert.
„Low-Pott“: Einsamkeit und Angst
Ist der Pott meistens schlecht gefüllt („low-pot“), erwartet ein Mensch von seinen Mitmenschen, dass sie ihn hintergehen, mit Füßen treten und verachten. Um sich zu schützen, zieht er sich von anderen zurück. Als Folge von Einsamkeit und Misstrauen stellt sich Angst ein, besonders auch die Angst vor Veränderung: Etwas Neues ausprobieren birgt ja neue Gefahren, hintergangen zu werden, zu versagen, verachtet zu werden.
„High-Pott“: Vertrauen und Handeln
Ist der Pott dagegen meistens gut gefüllt („high-pot“), weiß ein Mensch, dass er etwas bedeutet und die Welt ein kleines Stückchen besser machen kann. Er glaubt an seine Fähigkeiten. Weil er sich wertschätzt, kann er auch den Wert seiner Mitmenschen wahrnehmen und achten. Er strahlt Vertrauen und Hoffnung aus. Momentane Tiefpunkte erlebt dieser Mensch nicht als Beweis seines Unglücks oder seiner Unfähigkeit, sondern als Krisen des Augenblicks, denen er aktiv begegnen und aus denen er auch wieder heil auftauchen kann. In Teams, in denen die Pötte voll sind,
- glauben die Mitglieder an ihre Fähigkeit, das Team gemeinsam nach vorne zu bringen
- fühlt sich jedes Mitglied mit seinen individuellen Stärken gesehen und wertgeschätzt
- haben die Mitglieder Mut zu Risiken, die das Team und seine Ziele nach vorne bringen
- können die Mitglieder auch kritische Punkte angstfrei ansprechen
- fühlen sich die Mitglieder ermutigt, auch unkonventionelle Ideen einzubringen
- gibt es keinen Grund zu Opportunismus
- wachsen die Mitglieder miteinander zu einem Team, das immer freier und stärker sein Potenzial entfaltet.
Die Pötte des Teams füllen – zwei Tipps
Was können Sie in Ihrem Team für vollere Pötte tun? Hier zwei Tipps, wie Sie durch Ihr Verhalten den Boden bereiten können für ein Klima der vollen Pötte, des gegenseitigen Vertrauens und der Wertschätzung:
1. Auf den Pott achten
Der erste Schritt zur Veränderung ist immer das Wahrnehmen. Achten Sie einmal einen Tag lang bewusst darauf, was mit Ihrem Pott passiert, wenn jemand etwas zu Ihnen sagt. Fühlen Sie sich vom Gegenüber geschätzt – oder getadelt? Sie werden überrascht sein, wie häufig sich etwas ändert mit Ihrem Pott.
Drehen Sie dann das Experiment um: Achten Sie einen Tag lang auf das, was Sie zu anderen sagen. Haben Sie den Eindruck, dass Ihr Gegenüber sich von Ihnen wertgeschätzt fühlen kann? Bestätigt seine Antwort, sein Gesichtsausdruck das? Wenn nein: Was an Ihrem Verhalten gibt vielleicht ein abwertendes Signal, das Ihnen gar nicht bewusst ist? Versuchen Sie in dieser Phase des Experiments, sich möglichst unbefangen so zu verhalten, wie Sie es auch sonst tun. Auf diese Weise erhalten Sie besonders aussagekräftige Erkenntnisse. Falls Sie aber merken, dass Sie schon bei dem Gedanken an den Pott versuchen, sich möglichst pott-füllend zu verhalten – auch nicht schlimm, das sind bereits Ihre ersten Schritte in die richtige Richtung ;)!
2. Wichtiger als „nett sein“: Kongruent kommunizieren
Ihr Pott leert sich nicht deshalb, wenn jemand Kritik an Ihnen übt, zum Beispiel Ihr Kollege Sie auf einen Fehler hinweist. Der Pott leert sich, wenn der gesamte Ausdruck des Gegenübers Ihnen vermittelt: Du hast nicht nur ein Ziel verfehlt, sondern du bist ein unfähiger, verachtenswerter Mensch.
Besonders negativ wirken widersprüchliche Botschaften. Wenn Sie den neuen Entwurf Ihres Mitarbeiters mit Worten loben, dabei aber schief lächeln, glaubt Ihr Mitarbeiter vermutlich dem abwertenden Lächeln. Die meisten von uns vertrauen im Zweifel dem non-verbalen Ausdruck. Kein Wunder, denn schon als Kindern lernen wir als erstes – lange vor der Sprache – Gesten und Mimik zu deuten, vor allem: Zeigen Sie uns Sicherheit und Zuneigung an? Oder droht uns Gefahr, weil wir abgelehnt oder alleingelassen werden? Und so verunsichert es uns auch als Erwachsene noch, wenn uns jemand mehrdeutig oder sogar widersprüchlich verhält – unser Pott läuft leer.
Kommunizieren Sie daher vor allem kongruent, also so, dass alle Teile Ihrer Botschaft in die gleiche Richtung fließen: Worte, Gesichtsausdruck, Körperhaltung, Ton der Stimme. Das gilt besonders dann, wenn Sie eine Botschaft haben, die für Ihr Gegenüber vermutlich nicht leicht zu verkraften ist: ernste Botschaft – ernster Ausdruck. In solchen Situationen helfen auch kein „nettes Lächeln“ oder andere vermeintliche Puffer. Wodurch Sie den Pott des Gegenübers hier möglichst voll halten, sind Ernst-nehmen, Klarheit und gemeinsames Suchen nach Lösungen.
Wenn Sie also ein Team voller Selbstvertrauen und Kreativität wollen – halten Sie die Pötte voll!
UPDATE 26. August 2021: „Am Anschlag – Die Macht der Kränkung“ Mini-Serie auf zdf neo
Besonders drastisch zeigt die aktuelle Mini-Serie „Am Anschlag – Die Macht der Kränkung“ auf zdf neo die Folgen eines leeren Potts. Ich zitiere mal aus der Beschreibung des Senders:
„Und plötzlich ist alles anders…
Ein normaler Tag im Einkaufscenter „Sunshine City“ – dann fallen Schüsse. In sechs Folgen erzählt die Dramaserie von Menschen und Kränkungen, die bei einer Person schließlich drastische Folgen haben.“
Spannend, eindrücklich, toll gespielt und inszeniert – ansehen!
Zum Weiterlesen:
– Virginia Satir, Selbstwert und Kommunikation, 24. A. 2018, Klett-Cotta
– Reinhard Haller, Die Macht der Kränkung, 10. A. 2020, ecowin
– Eva Wlodarek, Die Kraft der Wertschätzung, 2020, dtv
– „Ich musste einfach nur weg vom Fußball“ Interview mit Robert Huth, Tagesspiegel 10.02.2020